Katalogtext zur Ausstellung „Tamis ou ombrelles ou...“:


Ferdinand Ullrich

Das Wirkliche und das Virtuelle

Bemerkungen zu den Arbeiten von Klaus Huneke


Einige Computerprogramme ermöglichen Kopieroperationen, die wahlweise „virtuell“ oder „physisch“ arbeiten. Eine solche Möglichkeit überrascht, sind wir doch im kritischen Geiste geneigt, dem Computer insgesamt eine nur virtuelle Existenz zuzubilligen. Die Fernsehbilder sind uns aus dem gleichen Grunde suspekt geblieben.

Zwar kann der Zeichenstift oder der Pinsel in der Perfektion kaum noch mit „Maus“ und „Grafiktablett“ konkurrieren, aber schaut man sich die Werke der sogenannten Computerkunst an, so geht es hier wie in der inzwischen seriöseren Videokunst: die interessantesten Arbeiten gehen über die „virtuellen“ Beschränkungen hinaus, verlassen die Inhärenz des eigenen Mediums und erzeugen schließlich doch ein materielles, „physisches“ Substrat, und sei es in Form des abfotografierten Bildschirms.

Auch wird man das Computerbild kaum als „Skizze“ bezeichnen können. Selbst die einfachste Operation schafft eine nie gekannte formale Makellosigkeit, die den Inhalt nur zu schnell in den Hintergrund drängt.

Nun sind die Arbeiten von Klaus Huneke keineswegs in die Rubrik „Computerkunst“ einzuordnen, wenn ihm auch die Möglichkeiten dieses Instrumentariums sehr geläufig sind. Aber die virtuellen Bilder sind lediglich Vorlage für sinnlich faßbare Objekte. Diese Bildobjekte verdanken ihren Formbestand allerdings den Rechenkünsten der Maschine, die in kürzester Zeit unendliche Variationen durchzuspielen vermag.

Damit macht sie die Entscheidung keineswegs leichter, denn der Selektionsprozeß wird schwieriger, weil die Vielfalt der perfekten Bilder genaues formales und inhaltliches Differenzieren erfordert. Man ist sich als Künstler gewiß, eine Vielzahl von Formmöglichkeiten zumindest „virtuell“ vor Augen gehabt zu haben. Nur bildet Klaus Huneke die vom Computer generierte Form nicht etwa ab, sondern sie wird zum Bildkörper, der in sich wiederum Formen trägt, die sich vom Computer emanzipieren, einem freien, unmittelbaren Duktus entspringen. Das Bild wird zum sinnlich erfahrbaren Körper, der partiell auch Mehransichtigkeit beansprucht, weil der Bildträger auch an den Kanten bemalt ist, die aber nur in der Schrägsicht als bemalte Teilflächen eines Bildkörpers wahrnehmbar sind. So sehr die farbliche Behandlung Illusion in der Zweidimensionalität konstituiert, so sehr entwickelt sich die Form zum dreidimensionalen Objekt. Die Wirkung des Bildes changiert zwischen Illusion und Wirklichkeit, zwischen Schein und Sein, wie die idealistische Ästhetik dies genannt hat, in der zeitgemäßen Computersprache: zwischen Virtuellem und Physischem.

Welchen Sinn kann es nun machen, der Maschine die allgemeine Formfindung zu überlassen und den individuellen Schöpfungsakt - um es verkürzt zu sagen - auf das „Ausmalen“ zu beschränken? Zumindest aus der neueren Kunstgeschichte haben wir gelernt, daß nicht unbedingt allein die Erfindung von Formen gültige Kunst hervorzubringen vermag. Vielmehr ist auch das Finden, die Entdeckung von natürlichen oder auch gemachten Formen, von Artefakten also, ein Prozeß, der eigene, kunsthistorisch bedeutsame Positionen definieren kann. Marcel Duchamp hat dies mit Gebrauchsgegenständen getan, die er von ihrer Zweckbestimmung befreit hat und allein wegen ihrer Form ausgewählt hat - eine Form der Ästhetisierung. Schaut man sich die Werke an - vom Urinoir über das Fahrrad-rad bis zum Flaschentrockner - so wird man unschwer formal durchgängige Gemeinsamkeiten im Werk Duchamps feststellen können. Keineswegs geht es hier also um beliebige Gegenstände, also um Gegenständlichkeit an sich, aber die Gemeinsamkeiten bestimmen sich nicht durch die Zweckbestimmung, sondern durch die reine Form.

Klaus Huneke bezieht sich ausdrücklich auf die Arbeiten von Marcel Duchamp, in denen er ein Prinzip erkennt, daß sich der Formen bedienen kann, die einer Maschine entspringen und anonym sind, ohne jede Individualität. Duchamp hebt diese Form in die ästhetische Gültigkeit, indem er sie radikal von ihrem Zweck freisetzt. Insofern haben wir in den Arbeiten von Klaus Huneke „Kunst über Kunst“ vor uns - mit einer wesentlichen Erweiterung allerdings-. das Maschinenzeitalter wird ergänzt durch das elektronische Zeitalter, dessen wesentlicher Charakterzug die Entmaterialisierung und damit Entsinnlichung ist. Nun ist die Elektronik zu einer Vollkommenheit gelangt, die es immer schwerer macht, die Illusion von Wirklichkeit als solche zu erkennen.

Das virtuelle Bild erscheint nun wirklicher als das in Malerei umgesetzte Bild. Eine durch nichts getrübte Scheinwelt gewinnt Eigenleben - eine Wirklichkeit eigenen Rechts. Nur die außerhalb dieses Mediums existierende Wirklichkeit, z. B. die Kunst, kann noch kritische Fragen stellen, die zeitgemäß ist, >weil< sie archaisch und damit existentiell ist.

Mit Hilfe der elektronischen Maschine erzeugt Klaus Huneke auch Bilder von Gegenständen, die unsere Vorstellung überfordern, so sehr ihnen auch prinzipiell nachvollziebare Operationen zugrunde liegen: Torsionen von sehr einfachen geometrischen Körpern. Die elektronisch errechneten Körper ließen sich kaum wirklich als Vorstellungsbilder einer durchschnittlichen Phantasie realisieren - nicht nur, weil die Natur diese Formen in ihrem Repertoire nicht bereithält, sondern auch weil die Kategorien unseres Denkens: Raum, Zeit und Kausalität hier bis an die Grenzen beansprucht werden. Escher hat diese Kategorien dagegen ad absurdum geführt, denn seine dreidimensionalen Konstruktionen sind nur als zweidimensionale ausführbar, jede wirkliche dreidimensionale Umsetzung scheitert - ein Verwirrspiel zwischen empirischer Erfahrung und abbildhafter Illusion.

Die Körpertorsionen entwickelt Klaus Huneke aus vielen Experimenten mit dem Computer, indem er ihm die durchaus komplizierte Rechenarbeit überläßt. Die zweidimensionalen Bilder überträgt er schließlich in skulpturale Objekte, so daß das Virtuelle das Versuchsstadium des Wirklichen darstellt. In seinen Malereiobjekten dagegen desavouiert er das Virtuelle als Schein, dem er das sinnlich Objekthafte als das „eigentlich“ Wirkliche entgegensetzt. Was insgesamt als künstlerische Position bleibt, ist ein Schwebezustand zwischen Wirklichem und Virtuellem, eine Indifferenz, die jede billige Erklärung der gegenwärtigen Welt und ihrer Verhältnisse ausschließt.

 

(Prof. Dr. Ferdinand Ullrich ist Direktor der Museen der Stadt Recklinghausen)

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