Katalogtext zur Ausstellung „Timm Ulrichs presents“ / Ein Kapitel zu Klaus Huneke:

Timm Ulrichs
Klaus Huneke (u.a.):
je ein Kapitel für sich

Das Verständnis und Selbst-Verständnis von Kunst und Künstler ist noch immer überlagert von Vorstellungen einer Kunst-Fertigkeit, die allzu oft im Handwerklichen sich genügt; auch blieb das Verhältnis des Malers und seines Publikums zur Bildfläche, auf der ein realitäts-bezogenes Bild in Erscheinung tritt (und also stets nur Schein des Abgebildeten ist), bis heute recht „oberflächlich". Ist aber die Leinwand schon „illusionär", so sind es auch die Gesetze des Sehens und Malens, die uns gestatten, uns unsere Welt-Bilder, Abzieh-Bilder dieser Welt zu machen, die sich ins Bild-Geviert zwingen lassen. Die Nenner aber, auf die wir die Welt zu bringen versuchen, sind stets nur Simplifizierungen unseres Begriffs-Vermögens, dessen Begriffs-Netze wir uns zurecht- und auslegen, um die Phänomene einzufangen, „an Land" zuziehen, uns nahe zu bringen, also in den Griff zu bekommen, begrifflich begreiflich zu machen: die Welt ist eben, so Rabelais, ein „Seemannsgarn", das wir uns zusammenspinnen. (Ob's letztlich stimmt oder nur ein Hirngespinst ist, steht auf einem anderen – uns verborgenen – Blatt.) Jedes Ab-Bild, so gesehen, ist nur ein „Begriffs-Bild", in dem wir die Dinge ding-fest-machen wollen; und Perspektive, Horizont-, Flucht- und sonstige Konstruktionslinien sind nur Leitlinien unseres Geistes-Horizontes, den wir nach außen projizieren. Diese Bloß-Stellung des Bildraumes als Illusionsraum haben besonders Tendenzen der konkreten, konzeptuellen und minimalistischen Kunst geleistet; erst eine Kunst der Kunst, die ihre eigenen Bedingungen reflektierte und sich selbst zum Thema, den Stoff der Kunst zum Kunst-Rohstoff machte, konnte mit der Erkenntnis, daß die reale Oberfläche der Leinwand (der „Bild-Träger") Realität in einer Weise ist, wie es das darauf Re-Präsentierte nie sein kann, den tradierten Kunstrahmen sprengen und öffnen. Indem man verzichtete, auf der Leinwand Illusionen von Illusionen von Illusionen und Ableitungen von Ableitungen etc. zu geben (denn die Künstlichkeit der sog. „Naturgesetze", die man ja weniger findet als erfindet, wird im Abbild zur potenzierten Illusion!), die Materialität und Stofflichkeit der künstlerischen Materialien erkannte und damit „wirkliche" Wirklichkeit ins Bild brachte (man hatte „die Wirklichkeit" vor lauter Farben lange nicht gesehen!), konnte man sich darauf besinnen, was Malen, was Zeichnen eigentlich bedeutet: Zeichnen, das ist Be-zeichnen, Zeichen-Setzen, also Aneignung und Schaffung von „Welt" im Zeichen, im Bild. Dieses primären Zeichen-Setzens bedient sich auch KLAUS HUNEKE in einer Art und Weise, als gelte es, das Zeichnen und Schreiben noch einmal zu erfinden. So etwa malt er, einem Höhlenmaler ähnlich, der die Jagdbeute im Abbild, „in effigie", zu bannen trachtet, mit Kreide oder schwarzer Farbe den Satz des Thales an eine Wand: Ohne Lineal und Zirkel (d. h. der zeichnende Arm wird selbst zum Zirkel, womit die Konstitution des Zeichners unvermittelt und unmittelbar ins Bild kommt) wird ein zugleich einfaches und verblüffend kompliziertes Zeichen manifestiert, wobei primäre Zeichen-Geste und hohe Abstraktion (die Wilhelm Worringer in „Abstraktion und Einfühlung" als durchaus zusammengehörig diagnostizierte) sich auf bezeichnende Weise stützen. Das Gesetz des rechten Winkels im Halbkreis erweist sich als „ewige Wahrheit", unabhängig von den Mitteln ihrer Veranschaulichung. In anderen Arbeiten benutzt Huneke mehr oder weniger offen-sichtlich „richtige" optische Täuschungen, um unser Wahrnehmungsvermögen (das unterstellt, es sei „wahr“, was wir wahr-nehmen) zu düpieren und seine Begrenztheit und Anfälligkeit für Illusionen zu demonstrieren – sind doch, wie ich sagte, Natur- und Bild-Gesetze meist uneingestandene Selbst-Täuschungsmanöver. Dabei sind Leerstellen eingeplant, um unsere Augen- und Geistes-„Optik" zu schulen. Dass seine Demonstrations-Objekte mit einfachen, „poveren" und durch die gewohnte, übliche „Kunst" nicht vorbelastete und abgenutzte Materialien (Sand, Glas, Pulverfarben etc.) realisiert und sie vornehmlich in unserem realen Erfahrungsraum (also nicht unbedingt auf der Leinwand) angesiedelt sind, stützt zum einen den didaktischen Aspekt direkter Erfahrbarkeit von Realität und führt zum anderen – ich wiederhole: – zurück auf das primäre, ja archaische und magischen Ritualen verbundene Zeichen-Setzen; das Gezeichnete ist stets das von Menschenhand „Gezeichnete". So sind Hunekes Objekte lapidar und kompliziert, täuschend und ent-täuschend zugleich, und „Zielgruppe" seiner Grundschule des Sehens und Erfahrens sind die ABC-Schützen, zu der sein Anschauungs-Unterricht und -Material uns wieder macht.

 

(Timm Ulrichs ist Professor für Bildhauerei und Totalkunst an der Kunstakademie Münster)

 

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